Rezension: Im Schatten des Kirchturms

Foto: Marscha Glauch

Autobiografische Geschichten von Hans-Martin Große-Oetringhaus

Eine Rezension des Niederrheinischen Literaturhaus der Stadt Krefeld:
https://nlh-krefeld.de/das-bord/grosse-oetringhaus-im-schatten-des-kirchturms/

Es gibt Bücher, die kommen ganz bescheiden und still daher. Und doch erzählen sie von einem ganzen Leben und einer Zeit, die heute fremd und fern erscheinen mag, tatsächlich aber Erfahrungen birgt, die uns nützlich sein können.

So ein Buch ist der autobiografische Text „Im Schatten des Kirchturms“ des seit einigen Jahren in Hüls lebenden Pädagogen, Journalisten und Schriftstellers Hans-Martin Große-Oetringhaus.
Auf 216 Seiten erkundet der 1948 geborene Autor seine Kindheit als Pfarrerssohn in einem westfälischen Dorf und seine Jugend in den fünfziger und sechziger Jahren. Er berichtet – so viel zur christlichen Toleranz – von den zwar ritualisierten, aber dennoch nicht weniger ernsthaften Prügeleien und Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten. Aber als Gegenbild auch von der offenen und ökumenischen Perspektive des Vaters auf die Welt, der als Mitglied der „bekennenden Kirche“ in der NS-Zeit gegen den Nationalsozialismus wirkte. Deutlich wird, wie sich ab Anfang der 1960er Jahre das gesellschaftliche Klima in Westdeutschland allmählich veränderte und wie lang aber doch noch der Weg bis zu der geistigen Wende von 1968 war.

Gerne begleitet man den Autor, wie er in den sechziger Jahren das Trampen für sich entdeckt und per Anhalter durch ganz Europa reist, mit neugierigem Blick und Mut. Aus heutiger Sicht wirkt es erstaunlich, wie offen und vertrauensvoll er von vielen Menschen spontan aufgenommen wurde. Und man wünscht sich für unsere Zeiten beides: dass man wieder anders auf Reisen geht und dass jenseits des scheinbaren Bescheidwissens in globalen Zeiten wieder eine Neugier auf fremde Gäste entsteht.

Große-Oetringhaus schreibt in kurzen Kapiteln und beleuchtet unterschiedlichste Themen. Dadurch entsteht ein Buch, das sich sehr gut immer wieder zur Hand nehmen lässt, um ein paar Seiten darin zu lesen. So als würde man – abhängig vom Alter der Lesenden – ein kurzes Gespräch mit dem älteren Bruder, dem Vater oder dem Großvater führen. Egal, was davon passt, eins bleibt dabei immer gleich: Es ist ein Gespräch mit einem außerordentlich sympathischen, weltoffenen und welterfahrenen Menschen, der sein Gegenüber dazu anregt, über den eigenen Umgang mit dieser Welt nachzudenken.

(TH)

Hans-Martin Große-Oetringhaus: Im Schatten des Kirchturms. Kindheitstage im Pfarrhaus. 216 Seiten. BoD – Books on Demand, Norderstedt 2023

Hans-Martin Große-Oetringhaus
Schriftsteller, Kinder- und Jugendbuchautor, Medienpädagoge